Killing the Murmeltier in two steps ...
Nach dem Multizellen-Vortags-Gedöns, stand heute ursprünglich die Südwestecke von Kansas auf dem
Chaseprogramm (Grenze Colorado/Oklahoma-Panhandle), bevor es tags darauf zum diesjährigen Showdown nach
Nebraska gehen sollte. Frühmorgens im Motel in Woodward somit der routinemäßige Kartencheck, und
spontan stellte sich das Murmeltiertag-reloaded-Gefühl bei uns ein ... gewürzt mit einem Schuss noch
intensiverer Demotivation als am Tag zuvor. High-based crap ohne mid- und upper level wind speeds, dessen einziger
Vorteil war, dass kein Multizellengeclustere zu erwarten war (aufgrund der mangelnden Feuchtezufuhr). Die
schönen Karten der Vortagesmodellläufe waren jedenfalls wie vom nicht vorhandenen Jet verblasen.
Aber wie das manchmal so ist, da ist man schon einmal fast vor Ort, also fährt man halt wie geplant den Umweg,
zumal es in Ulysses ja noch guten Ökosaft für unsere CO2-Schleuder gab, da man in Kansas offenbar
relativ konsequent auf green energy setzt. Neben überraschend vielen neuen Windparks gibts hier nämlich
tatsächlich Ethanol zu tanken (mit Restbenzinbeimischung von 15%), welches unsere Kiste dank Flexfuel
problemlos verträgt. Das Schöne daran ist, dass man (vom Restbenzin abgesehen) damit nur noch
Wasser und CO2 aus dem Auspuff pustet und somit fast gesundheitsneutral unterwegs ist. Da aus nachwachsendem
Zeuchs hergestellt, isses (theoretisch) auch noch relativ klimaneutral, zumindest dann wenn man dafür nicht
den Regenwald niedergemäht, die Düngerkeule geschwungen, oder anderer Leute Nahrungsgrundlage verbrannt
hat - Edit: was ganz offenbar aber leider der Fall ist, siehe Campbell et al. (2009); Lapola et al. (2009); oder auch
Bowyer (2010).
Okay, den goldenen Respektsgrashalm für die umweltfreundlichsten Chaser können wir uns damit also nicht
verdienen, aber das war auch nicht unser Plan ;-). Anyway, wir schweifen ab.
Ulysses hat uns am frühen Nachmittag bereits mit einem langgezogenen Amboss begrüßt, Auslösung
war dieses Jahr allerdings noch nie unser Problem. Die Erwartungshaltung daher unverädert im nichtmessbaren
Bereich. Immerhin war die dazugehörige Zelle laut Radar noch nicht tot, ihr Standort im südöstlichen
Colorado unter scherungstechnischen Aspekten hingegen wenig erfreulich. CAPE dafür besser als erwartet und
in Zugrichtung sollte auch das LCL (lifting condensation level) langsam auf annehmbare Werte absinken. Wie gesagt,
same procedure as the day before ... ranfahren und schauen was geht.
Über eine Stunde und etliche gravel roads später hatten wir dann die diffuse Basis gut im Blick, wobei
unser Alpha-Chaser beim Blick auf den Updraft-Bereich dem Ding (und uns) grad mal noch ne viertel Stunde
Lebenszeit gab. Nach drei abgesessenen Minuten, in denen uns einzig die Anvil-Ground-Blitze beeindrucken
konnten, wurde wie üblich rumgequengelt/-geningelt, worauf der diensthabende Fahrer in dem ihm ureigenen
Chillmode darauf hinwies, dass erst 3 Minuten vergangen sind und jetzt bitteschön gewartet wird. Also wurde,
teils augenrollend, teils auf der Rückbank schlafend, teils auf die verreckenden nördlichen (sich
dafür aber in besser gescherter Umgebung befindenden) Zellen hoffend Folge geleistet und erst nach weiteren
10 Minuten wieder die alte Leier angeworfen. Zusammenfassend kann man sagen, dass wir in diesem Moment den Tag
und die Zelle abgeschrieben hatten und drauf und dran waren, gemütlich Richtung Nebraska zu trällern.
Was uns letztlich davon abgehalten hat ist schwer zu sagen, aber vermutlich war es die dem Mensch inhärente
und niemals sterbende letzte Hoffnung. Jene eigentlich sinnlose Hoffnung, die aller Vernunft und Rationalität
diametral gegenübersteht, einen aber dennoch davon abhält, auch noch der abgef***testen Zelle auf der
Stelle den Rücken zu kehren ... was wir übrigens ohne Zweifel sofort gemacht hätten, wäre
auch nur eine der nördlichen Zellen über das Stadium eines abkackenden Turkey Tower hinaus gekommen.
But Thank God, wie der US-Amerikaner sagt, ist es dazu nicht gekommen und wir haben uns nun der Zelle erstmal
grundlos ein paar Meilen genähert. Dort haben wir dann willenlos zugeschaut was aus dem Basisgebratze so werden
würde, welches schätzungsweise bei 1.5-2 km sein LCL hatte. Immerhin hätte man sich mit viel
Phantasie vorstellen können, dass es sich um inflow wind aus recht günstiger SE-Richtung handelt. Glauben
wollte das natürlich keiner so recht, auch nicht als die Basis einen etwas lebhafteren Eindruck zu machen
begann und eine gewisse undefinierte Krümmung aufwies. Ihr in dieser Phase irgendwelche Rotation zuzusprechen,
ja überhaupt nur an das Wort Superzelle zu denken, wäre aus unserer Sicht deutlich zuviel positiver
Interpretationswille gewesen. Immerhin haben nun auch die letzten fotounwilligen crew member ihre Kamera zumindest
mal angefasst, und die Schlaffraktion eine Döspause eingelegt. Als dann langsam aber sicher in der Mitte des
Basisbogens (ja, auch das Wort Mesozyklone wollte uns partout nicht über die Lippen kommen) ein lowering
erkennbar war, ist zumindest das Thema Abbruch erstmal in den Hintergrund gerückt. Die Frage war, was
würde so ein Lowering in 1.5 km Höhe ausrichten können? Würde es mehr als einen guten Eindruck
hinterlassen? Würde es dem bisher recht murmeltiertag-ähnlichen Szenario ein Ende bereiten?
Überraschend fix zeigte sich, dass das Lowering zumindest wild zu rotieren angefangen hatte und sich durchaus weiter absenken könnte. Fraktus wurde durch die Gegend geschleudert und ziemlich aus dem Nichts, begann das Teil sichtbar einen schicken laminaren Funnel zu produzieren. Unglaubliches Staunen macht sich breit, während die Wallcloud weiter übel rumrotiert und als Riesennase nun fast 2/3 des Weges bis zum Boden eingenommen hat. Das Ganze wird nach einer Weile langsam rainwrapped, es scheint aber keinen Touchdown gegeben zu haben.
Schnell nochmal die anfängliche Frage wiederholend, ob weiteres Interesse am Verfolgen der Zelle besteht,
gabs nun ein noch ignoranteres Augenrollen ... komischerweise bedeutete es diesmal genau das Gegenteil.
Scheint, als hätten wir Phase 1 der Murmeltier-Hinrichtung erfolgreich hinter uns gebracht :-). Wir
positionierten uns somit wieder südöstlich der Zelle, welche sich nun ziemlich straight Richtung SSE
bewegte. Die Mesozyklone sah dabei nicht unbedingt spektakulär aus, teils war sogar deutlich outflow zu
sehen, allerdings hat wohl nun auch der letzte high risk-Chaser Blut geleckt und gemerkt, dass diese Zelle aus
unerfindlichen Gründen einen ziemlichen Spin hatte. Der einigermaßen simple Hintergedanke war, dass die
Zelle nach erfolgreicher Umstrukturierung doch bitteschön nochmal in der Lage sein müsste, ein wenig
Vorticitytransport nach ganz unten zu bewerkstelligen, wo auch immer sie selbige hernehmen möge. So ging es
bis zur state border zwischen Colorado und Oklahoma, wo uns das "Welcome to colorful Colorado"-Schild als passender
Tornadovordergrund sehr geeignet erschien ;-). Kleiner Scherz, denn bei aller angefachten Euphorie, es dauert eben
eine Weile, um von Erwartungslevel Null in den "Wünsch-dir-was-Modus" umzuschalten. Zumal man die Erfahrung ja
immer noch auf seiner Seite hat, welche einen vor etwaigen unberechtigten Euphorie-Attacken eindringlich warnt.
Allein, diesmal war jegliche Anti-Euphorie vergebens, denn was sich nun ab 00:05 UTC am 01.06.2010 etwas südlich
der Ortschaft Campo in Colorado abspielen sollte, das übertraf ALLES. Es sprengt jegliche Vorstellungskraft,
es lässt sich in keine angemessenen Worte fassen und es ist wohl die once-in-a-lifetime-Chaser-experience, die
man als grandioses Resultat einer gelungenen atmosphärischen Superzellkochsession und unfassbaren Glücks
einfach genießen muss. Mitten aus der Wallcloud schiebt sich an eigentlich etwas unerwarteter Stelle (man
hätte wohl eher einem der zahlreichen Funnelversuche an der Wallcloud das Tornadopotenzial zugeschrieben)
langsam ein extrem laminarer Elephant Trunk nach unten und hat nach kurzer Zeit Bodenkontakt.
In einem tranceartigen
Zustand hat man nun nur noch mechanisch die Kamera zu bedienen versucht, um das unglaubliche Spektakel
bestmöglich auf den Chip zu bannen. Aus dem Rüssel wurde nach ein paar Minuten ein impressiver stove
pipe Tornado, der sich langsam vor uns von West nach Ost schob, dabei teilweise den Dreck weit
bis nach oben schleudernd. Dass nun sogar das perfekt platzierte "Welcome to colorful Colorado"-Schild seinen
avisierten Einsatz als wunderbarer Nebendarsteller haben würde ... man wollte es nicht wirklich glauben.
Nicht zu erwähnen, dass uns auch noch die gelbe Sau als weiterer Nebendarsteller die Aufwartung machte.
What to say: The Murmeltier has been successfully killed! Phase 2 accomplished.
Nach fast 15 Minuten am Boden mussten wir dann aufgrund der extrem starken RFD-Böen etwas nach Süden
weiterfahren, den Tornado nun nordöstlich von uns immer im staunenden Blick behaltend. Beim nächsten
Stopp war die schönste Phase zwar bereits vorbei, denn der Tornado wurde rainwrapped, dafür kamen andere
Nettigkeiten wie Regenbogen, der Updraft und Rückseiten weiterer Cb-Türme ins Blickfeld. Dazu fiese
Turbulenz unterhalb der Meso und eine Hammerrotation der Meso selbst, sowie verschiedene Stadien des immer noch
rumschwurbelnden Tornados, bis nach ca. 30 Minuten das Ganze recht diffus wurde und wir uns einstweilen von der
Zelle entfernten, um uns von Boise City aus Richtung WSW der Meso nochmal zu nähern.
Das gelang uns sogar
schon etwas eher über eine farm road nach Osten, von welcher aus wir nach fast einer Stunde erneut den (oder
einen neuen) Tornado sehen konnten, wenn auch in einem vergleichsweise unfotogenen Stadium. Etwas später
ging es noch an die Rückseite, wo uns ein herrlicher Sonnenuntergang einerseits und "unsere" Superzelle mit
einem weiteren Tornadoschmiss andererseits, langsam dem Ende dieses unbeschreiblichen Chasetages näher brachten.
Nicht viel mehr als zwei Stunden lagen diesmal zwischen weitgehender Lethargie und grenzenloser Extase. Zwei Stunden
völlig irrwitziger Superzellentwicklung mit einem Finale furioso wie man es sich in seinen kühnsten
Chaserträumen nicht besser hätte wünschen und vorstellen können. Vor allem müssen wir
aber unserem Mr. Ultracool am Steuer danken, der aus 3 Minuten 15 hat werden lassen, und uns somit die Chance
erhielt, den besten Chase in unserer SChaPLe-Karriere zu erleben. Man möchte sich nicht ausmalen was gewesen
wäre, wenn ... . Und schließlich auch einen Dank an die verreckenden Nordzellen,
die uns definitiv zu einer hundsgemeinen Falle hätten werden können, sowie unserem Alpha-Chaser inklusive
his Apu-ness, denen kein setup ätzend genug ist, um es nicht doch am Ende in Augenschein zu nehmen ... auch
wenn das anfängliche Resultat manchmal zu spontanen desillusionsbedingten Kurzschlussreaktionen führt :-).
Memorial day 2010 will long be kept in all our SChaPLe-memory ...